Was uns wirklich massiv fehlt (BORUSSEN)

Kulik, Donnerstag, 10.11.2022, 10:27 ( vor 557 Tagen ) @ Bap

...ist m.E. nicht, wie oft kritisiert, der fehlende Wille und Einsatz.

Erlaubt mir eine Erklärung.

Wenn man die Entwicklung des Pressings im Fußball der letzten Jahrzehnte extrapoliert, werden die 7.140 qm eines durchschnittlichen Fußballfeldes jedes Jahr mit immer höherer Intensität bearbeitet.
Zu Netzer-Zeiten wurde ein qm eines Feldes im Schnitt wahrscheinlich nur 12x mit 25 km/h max. Geschwindigkeit betreten, heute dagegen 70x mit 36 km/h max. Geschwindigkeit.

Die Folge: Die Zeit, sich fußballerisch zu behaupten, wird immer kürzer. Und die Wahrscheinlichkeit, in einen Zweikampf mit Körperkontakt verwickelt zu werden immer höher.

In gleichem Maße, wie Geschwindigkeit, Athletik und Ausdauer wächst, steigen aber nicht die fußballerischen Fähigkeiten. D.h., ein Außenverteidiger müsste beim Maximalpressing des Gegners (Zakaria, Goretzka und Höler laufen dich Fullspeed an) schon Messi-ähnliche Fähigkeiten haben, um sich zu befreien. Und selbst dann wird er bei einigen Aktionen den Ball verlieren. Und: Kein Außenverteidiger ist Messi.

Nun zur Hypothese.

Hier wird ja immer die seit Jahren lahmarschige Mentalität unserer Spieler bemängelt. Wenn man die aber zu Wort kommen lässt, liegt es – für mich glaubwürdig, wenn Spieler mit hoher Identifikation zur Borussia das sagen (Stindl, Kramer, Sommer, Hofmann) – nicht an fehlender Einstellung.

Ich denke ursächlich für Spiele wie in Bochum ist, dass wir seit Jahren immer mehr zurückfallen, was die physischen Grundvoraussetzungen in unserem Kader betrifft: Unsere Jungs sind einfach im Vergleich zu schmächtig und/oder zu langsam.
Daraus resultierend wird übrigens auch weniger gelaufen, weil du als langsamer/körperlich unterlegener Spieler lieber im Raum stehst als auf den Mann zu gehen, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass du die Konfrontation nicht bestehst.

Die Kader des letzten Jahrzehnts wurden von Eberl exzellent zusammengestellt. Er selbst war als Fußballer ein Holzfuß; das sieht man oft, dass solche limitierten Ex-Spieler als Manager/Trainer dann den technischen Fußball mit Leidenschaft protegieren.
So hat Maxi gemeinsam mit Favre den Grundstein für „Borussia Barcelona" gelegt: Unser Stilmittel war das Florett, aber nicht der Säbel.

Nun sind aber über 10 Jahre auch eine lange Entwicklungszeit im Fußball, in der dieser immer physischer geworden ist. So, wie Standfußballer Netzer heute seine Schwierigkeiten in der BuLi hätte, sind die Stindls, Pleas, Hermanns, Kramers usw. von ihren physischen Grundvoraussetzungen eben auch nicht mehr das, was man heute braucht.
Einzelne Spieler sicher, aber wenn der ganze Kader so ausschaut, wird es schwierig.

Wenn ich mir mal die Athletik unserer Spieler ansehe, dann würde ich folgende Defizite sehen für Ansprüche, die für die erste Tabellenhälfte ausreichen:

Zu langsam (Antritt und/oder Handlungsschnelligkeit): Friedrich, Elvedi, Kramer, Stindl, Jantschke, Plea, Weigl, Netz, Lainer, Neuhaus, Herrmann.
Zu wenig „Body" im Zweikampf, wie ihn Zakaria, Andrich, Goretzka haben (ich spreche ja nicht von Haaland oder van Dijk): Kramer, Stindl, Jantschke, Plea, Weigl, Netz, Lainer, Neuhaus, Herrmann, Wolf, Ngoumou, Borges Sanches, Hofmann.

Das sind einfach zu viele.

Wenn man sich Mannschaften wie Union oder Freiburg anschaut oder selbst solche Antikicker wie die Kölner, dann wird die Physis immer wichtiger für den Erfolg.

Ich glaube, dass die Jungs es aufgrund fehlender Athletik oft einfach nicht besser können - wenn eine fußballerisch limitierte Mannschaft uns besinnungslos anläuft, dann reichen die fußballerischen Mittel nicht aus, sich zu befreien, und von der Physis her reicht es dann eben auch nicht (das spielt sich ja auch im Unterbewusstsein ab, dass man gegen überlegene Spieler dem Zweikampf aus dem Wege geht).
Ja, in manchen Spielen reichen ein paar Glanzpunkte aus, um das Spiel auf unsere Seite zu ziehen. Dazu haben wir eben doch noch einige herausragende Kicker, die mit Einzelaktionen dem Spiel die entscheidende Wendung geben können.

Aber wie wenig Instrumente wir haben, wenn wir mal in den letzten 20 Minuten einen Rückstand drehen müssen – genau in diesen Phasen, brauchst Du Robustheit, um zweite Bälle zu gewinnen. Ich kann mich an kein Bundesliga-Team in den letzten Jahren erinnern, bei dem die Fähigkeiten für eine „Schlussoffensive mit richtig viel Druck" derart limitiert sind wie bei uns.

Kleine Anekdote: Meine beiden Jungs haben nach dem Testspiel gegen 1860 am Tegernsee noch Erinnerungsfotos mit den Spielern (alle extrem nett!) gemacht.
Als ein Freund danach das Foto von meinem 16jährigen (spielt in der Bayernliga) neben Jonas Hofmann gesehen hat, meinte er: „Wenn man die beiden so sieht, denkt man: Hoffentlich muss Jonas am Wochenende nicht gegen diesen Innenverteidiger spielen." Mein Junge ist größer und breiter als Jonas, aber in seiner U17 von der Physis her im Durchschnitt.

Grüße
C.K.


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